[Buchbesprechung] Nicoletta Giampietro – Niemand weiß, dass du hier bist

Hallo ihr Lieben,

Bücher zum Thema “Wider des Vergessens” haben im Moment Hochkonjunktur in der Literaturwelt und da fällt es gelegentlich schwer die Spreu vom Weizen zu trennen. Dieses Mal habe ich ein Buch gefunden und zur Verfügung gestellt bekommen, dass mich gefesselt hat. Worum es geht und was mir daran so gut gefallen hat, erfahrt ihr, wenn ihr weiter liest.

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Klappentext von der Verlagsseite

Eine große, hoffnungsvolle Geschichte über Mut und Freundschaften, die größer sind als jede Ideologie. Atmosphärisch, warm und voller erzählerischer Kraft.

Siena, 1942. Der zwölfjährige Lorenzo soll den Krieg bei seinem Großvater und seiner Tante überstehen. Noch ist es in der Toskana friedlich. Auf den weiten Plätzen der verwinkelten Stadt freundet er sich mit Franco an, der seine glühende Verehrung für den Duce teilt. Die Begeisterung bekommt erste Risse, als er Daniele kennenlernt. Daniele ist Jude. Als die Deutschen die Stadt besetzen und beginnen, jüdische Familien zu deportieren, kann Lorenzo nicht zusehen. Doch seine Entscheidung bringt nicht nur seine Freundschaft mit Franco in Gefahr, sondern auch seine Familie und ihn selbst.

Autoreninfo von der Verlagsseite:

Nicoletta Giampietro, geboren 1960, wuchs in Mailand in einer italienisch-französischen Familie auf. Sie studierte Politikwissenschaften und Geschichte in Mailand und Tübingen und zog 1986 endgültig nach Deutschland. Nach längeren Aufenthalten in Köln und Rotterdam lebt sie seit 1995 in Mainz. Sie spricht fünf Sprachen, ist verheiratet und hat vier erwachsene Kinder. „Niemand weiß, dass du hier bist“ ist ihr erster Roman.

Erster Satz:

Ich war seit einer Woche in Siena, als statt Mamma das Telegramm eintraf.

Aufbau:

“Niemand weiß, dass du da bist” enthält drei Teile mit insgesamt 34 Kapiteln, einem Kapitel mit “21 Jahre” später, Notizen zum Buch und einer Danksagung.

Meinung:

Was für ein Debütroman! Selten hat mich ein Buch schon mit der ersten Seite her von Sprache und Stil so gefesselt wie dieses hier.  Jede Seite ein sprachlicher Leckerbissen. Die Geschichte um den zwölfjährigen Lorenzo ist wie ein Sog.  Man taucht tief  in ein Stück italienische Geschichte ein, von dem ich nicht viel wusste, und so sehr erpicht darauf war, mehr davon zu erfahren.  Jede Zeile, jede Seite, jedes Kapitel zog mich tief in Lorenzos Gedankengänge, sein Wandel im Laufe der Geschichte vom jungen Bailila hinzu einen nachdenklichen jungen Mann, der im Laufe der letzten Kriegsjahre über sich hinaus wächst.

Lorenzo, eigentlich in Tripolis lebend, wird von seinen Eltern nach Siena ins vermeintlich sichere Italien gebracht. Die mittelalterliche Stadt Siena ist Handlungsort der Geschichte um Lorenzo. Dort konzentriert Giampietro das gesamte Kriegsgeschehen und versucht so mithilfe ihres jungen Protagonisten ein Stück  italienischer Kriegsgeschichte aufzuarbeiten. Sie lehnt sich da leicht an reale Personen an und arbeitet die historischen Begebenheiten, wie der Einmarsch der Mussolinis Sturz, Italiens Loslösung vom Deutschen Bündnis, der Einzug der Deutschen Wehrmacht in Siena und die Befreiuung Sienas durch die franzöische Armee, auf. Lorenzo erlebt dies alles hautnah mit und ist damit für den Leser das Verbindungsglied zur Geschichte. Sie beschreibt dabei alles so bildhaft, sodass ich ganz tief in die Geschichte eintauchen konnte.

Neben dem Setting und der historischen Aufarbeitung stechen vor allem Giampietros Protagonisten heraus. Die überaus glaubwürdig und authentisch rüberkommen. Auf der einen Seite ist das Lorenzo, der zunächst geprägt durch seine faschistischen Eltern sehr nationalistisch denkt und handelt. Er kennt es nicht anders und glaubt an den Sieg Italiens und die damit für ihn verbundene Rückkehr nach Tripolis. Erst durch seine Tante Zia Chiara, die eine Gegenposition zu den faschistischen Gedanken Lorenzos Eltern einnimmt, erkennt Lorenzo nach und nach, was falsch läuft in Siena und in Italien. Verstärkt wird dies noch durch den jüdischen Jungen Daniele, dessen Eltern bei einer Säuberungsaktion der Schwarzhemden nach Deutschland ins Konzentrationslager gebracht werden.  Mit Lorenzos Hilfe gelingt Daniele die Flucht vor der Säuberungsaktion. Durch Danieles Schicksal und seine damit verbundene Aufgabe hinterfragt Lorenzo immer mehr die Begebenheiten in Siena. Dadurch fällt es ihm auch immer schwerer mit seinen Jugendfreud und Nachbar Franco, der durch seinen Vater und Onkel sehr faschistisch geprägt wurde und absolut kriegsnärrisch ist, zurechtzukommen. Denn er darf nichts verraten, denn sowohl Zia Chiara, seine Tante als auch Daniele würden sonst in großer Gefahr schweben.
Überhaupt gelingt es Nicoletta Giampietro all ihren Figuren Leben einzuhauchen, dabei spreche ich nicht nur von den drei Jungs, sondern auch den vielen Nebencharakteren. Sie sind alle so deutlich dargestellt, dass sie für mich fassbar wurden. Mit all ihren guten als auch schlechten Seiten. Im Laufe der Handlung, die vieles umfasst, ohne dabei den Spannungsbogen zu verlieren, gewinnt man sie lieb oder man fängt sie immer mehr an zu verachten.

Dabei gelingt es ihr immer wieder mit ihren Sprachbildern die Stimmung in den Jahren einzufangen. Ich habe noch nie ein Buch gelesen, dass so deutlich das Leben in einer Stadt während des Krieges widerspiegelt wie “Niemand weiß, dass du hier bist”. Ein Meisterwerk, das sowohl das Kriegsgeschehen, als auch die Empfindungen der Bürger, das Denunziantentum, die Partisanen, Mitläufer und Täter beleuchtet. Ohne dabei nur Fakten herunter zu beten, sondern diese in starke sprachliche Bilder wieder gibt, die mir auch heute noch drei Tage nach Beenden des Romans nachhängen. Bilder, die mir nicht mehr so schnell aus dem Kopf gehen und in mir nachklingen, die mich zum Nachdenken anregen und auch zeigen, dass nicht alle, die einer bösen oder guten Sache nachrennen es auch immer böse oder gut meinen. Sie zeigt mit ihren Sprachbildern so viele Facetten sowohl bei den Faschisten und Partisanen auf, die bei mir noch sehr lange nachklingen werden.

Besonders schön und für mich, der gerne erfährt, wie es den Protagonisten später ergangen ist, ist das Kapitel “21 Jahre später”, für mich bildet dies einen gekonnten Abschluss des Buchs. Ebenso die Notizen zum Buch, in denen Giampietro erzählt, welche historischen Begebenheiten und Orte, den Hintergrund zu ihrem Debütroman “Niemand weiß, dass du hier bist” bilden.  Beides gehört für mich zu einem guten beziehungsweise sehr guten Einzelband dazu.

Fazit

Nicoletta Giampietros Debüt “Niemand weiß, dass du hier bist” ist ein sehr gelungener Roman über das Erwachsenwerden im Krieg, den für sich richtigen Weg finden und die Hoffnung nie zu verlieren. Mit einer bildhaften Sprache und historisch genau dargestellten Geschehen ist “Niemand weiß, dass du hier bist” ein Roman, den ich nicht mehr aus der Hand legen konnte und den ich jeden ans Herz legen, der sich für Italien und “Wider des Vergessens” interessiert.

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Bibliografische Angaben
Autor: Giampietro, Nicoletta  Übersetzer: Titel: Niemand weiß, dass du hier bist Originaltitel:Reihe: —  Band:Seiten: 416 ISBN: 978-3-492-05918-3 Preis: 22,00 € (Hardcover) Erschienen: 01.03.2019 bei Piper

 

Für die Bereitstellung des Besprechungsexemplars bedanke ich mich herzlichst bei

und

 

Eure

Kerstin

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2 Antworten auf „[Buchbesprechung] Nicoletta Giampietro – Niemand weiß, dass du hier bist“

  1. Liebe Kerstin,
    ich habe das Buch auch erst gelesen und rezensiert und war ebenfalls begeistert! Und wirklich toller Roman, der von seinen lebendigen Charakteren lebt und von der Menschlichkeit, die er sucht….
    Liebe Grüße
    Martina

    1. Hallo Martina,
      das Buch ist wirklich schön und es hat mich gefesselt. Schön, dass es dir auch gefallen hat.
      Liebe Grüße
      Kerstin

Kommentare sind geschlossen.