Hallo ihr Lieben,
schon lange habe ich keine Buchbesprechung mehr geschrieben, aber in meinem Vorhaben für den von Nico vom Buchwinkel initiierten #femtember musste es einfach sein. Am vergangenen Donnerstag habe ich euch deutschsprachige Kriminalliteratur vorgestellt und eigentlich war auch ein deutscher Krimi geplant gewesen.
Aber dann hat mich ein Buch in der letzten Zeit, selbst nach mehr als einer Woche nach der Beendigung, nicht mehr losgelassen. Von diesem Buch und von meinen Eindrücken beim Lesen möchte ich euch nun erzählen.
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Klappentext von der Verlagsseite
Louisiana, die 1940er-Jahre, ein elektrischer Stuhl wird in die kleine Stadt St. Martinsville gebracht für die geplante Hinrichtung eines jungen Schwarzen namens Will, der ein weißes Mädchen vergewaltigt haben soll. In Wirklichkeit ist sie seine Geliebte gewesen, die sich aus Verzweiflung umgebracht hat und ihm nun nicht mehr helfen kann. Alle wissen, dass das Todesurteil ein Skandal ist, aber sogar Will selbst hat aus Trauer und Schuldgefühlen innerlich eingewilligt, und weiße Wutbürger drohen dem zweifelnden Staatsanwalt mit der Entführung seines Sohnes. Nach einer wahren Begebenheit, psychologisch fein und in einer an William Faulkner erinnernden multiperspektivischen Intensität erzählt Elizabeth Winthrop die tragischen Ereignisse bis zum überraschenden Ende. Ein meisterhaftes Buch, das man nicht mehr aus der Hand legt und das niemanden kaltlassen wird.
Autoreninfo von der Verlagsseite:
Elizabeth H. Winthrop, 1979 geboren, lebt mit ihrer Familie in Massachusetts. Sie studierte englische und amerikanische Literatur an der Harvard University und erwarb ihren Master of Fine Arts in Fiction an der University of California in Irvine.
Erster Satz:
Als Lane aus dem Tankstellenhäuschen tritt, wartet schon der Hund auf ihn.
Meinung:
Als “Mercy Seat” wird der transportierbare elektrische Stuhl bezeichnet, der von Ort zu Ort zur Vollstreckung des Todesurteils am jeweiligen Tatort des Verbrechens gebracht wird, damit die Ortsansässigen der Hinrichtung beiwohnen können.
Der Titel passt eindeutig zur Handlung des Werkes. Winthrop erzählt in vier Teilen den Tag der Vollstreckung des skandalösen Urteils an dem jungen Schwarzen Will. Jedes einzelne Kapitel wird aus der Sicht eines Charakters erzählt, damit man nicht durcheinander kommt, wird der Name in der Kapitelüberschrift erwähnt. So erlebt man den ganzen Tag mit, sei es durch Wills Vater und Polly, dem Staatsanwalt, die direkt mit der Situation von Will zu tun haben, aber auch durch eigentlich unbeteiligte Personen, wie Lane oder Ora. Gerade bei diesen Charakteren fragt man sich, was sie mit Will zu tun haben und im Laufe der Handlung fügen sich diese losen Fäden, die nebenbei laufen, zusammen.
“Mercy Seat” hat mich von der ersten Seite gefesselt und auch wenn die Handlung im Jahr 1943 in Louisiana spielt, ist sie mit ihren Grundthemen Rassismus, Trauer, Verlust, Todesstrafe so aktuell wie nie. Denn Rassismus existiert auch heute noch nicht nur in den Südstaaten, mit seinem Ku-Klux-Clan, sondern auch in den anderen Bundesstaaten und in der restlichen Welt. Rassismus ist allgegenwärtig und gipfelt heute in der Black Lives Matter Bewegung und der Polizeigewalt gegen Schwarze.
“Mercy Seat” ist heftig und mir liefen immer wieder die Tränen übers Gesicht. Es gab Szenen da musste ich innehalten und das Buch zur Seite legen. Es ist erschreckend, nicht nur die Szene mit “Mercy Seat”, sondern auch die Rahmenhandlung drum herum. Die Einschüchterung, die Verzweiflung über den Verlust eines Sohnes, die unausgesprochenen Worte zwischen den Menschen und das Gefühl eines jeden, dass es falsch ist.
Meine Stimmung während des Lesens schwang immer wieder zwischen unheimlicher Wut, wer das Buch gelesen hat, kann sich die betreffenden Szenen denken, und zwischen tiefer Traurigkeit.
Winthrop gelingt es mit ihren Worten ein Bild einer gespaltenen Gesellschaft zu zeigen, die auf der einen Seite Gerechtigkeit will, aber auf der anderen Seite in ihren Strukturen und Dogmen so gefangen ist, dass sie diese nicht überwinden können.
“Mercy Seat” zeigt immer wieder die Atmosphäre in den Südstaaten auf, das Zusammenleben zwischen Schwarzen und Weißen, den endlosen Baumwollfeldern, den Alligatoren und das Misstrauen untereinander. Man hat immer noch das Gefühl, dass die Zeit stillsteht und sich nichts in den Jahrzehnten danach verändert hat, wenn man heute die Nachrichten aus den Vereinigten Staaten hört.
Die meisten Charaktere sind mir während des Lesens ans Herz gewachsen und man merkte oft, dass sie mit ihrer Entscheidung nicht einverstanden sind, aber es Situationen gab, in denen sie nicht anders entscheiden konnten. Sehr oft habe ich mich gefragt, wie ich mich entschieden hätte, in dieser Situation, in dieser Zeit, mit diesem Hintergrund und ich bin auch jetzt eine Woche noch zwiegespalten. Ich wünschte, dass ich heute sagen könnte, so ein wahrer Fall würde heute nicht mehr so passieren, aber das Leben lehrte mich schon anderes.
Denn der Rassismus, Ressentiments und Hass sind immer noch nicht überwunden und auch nicht die Fehlurteile durch Jurys. In einer Welt, in der immer noch Unterschiede nach der Hautfarbe gemacht werden, kann es keine absolute Gerechtigkeit geben.
Fazit
“Mercy Seat” ist ein packender Roman, der auf dem Fall Willie Francis, von 1946, aufbaut. Ein Buch gegen Rassismus, gegen die Todesstrafe mit einer ungeheuren Sprachgewalt, dass einen emotional abholt und noch sehr sehr lange nachklingt.
Bibliografische Angaben
Autor: Winthrop, Elizabeth H. Übersetzer: Schertenleib, Hansjörg Titel: Mercy Seat Originaltitel: Mercy Seat Reihe: — Band: — Seiten: 528 ISBN: 978-3-406-71904-2 Preis: 22,00 € (Hardcover) Erschienen: 01.03.2018 bei C.H. Beck
Hey Kerstin =)
Allein der Name für den transportablen elektrischen Stuhl… “Mercy Seat”. Sehr heftig. Das weckte bei mir auch Assoziationen zum Film “The Green Mile”. Und das Thema Rassismus ist leider immer noch genauso aktuell wie vor 70 Jahren…
Hast du “The Hate U Give” mal gelesen? Das hat bei mir auch sehr lange nachgeklungen.
Auf jeden Fall schön, dass du am #femtember teilnimmst! Ich habe den Beitrag auf der Übersichtsseite verlinkt.
Viele Grüße,
Nico
Hallo Nico,
es gibt Szenen im Buch, da musst du nur noch schlucken und bei so manchen kamen mir auch die Tränen. Bei “The hate u give” von Angie Thomas ging es mir genauso. “The Green Mile” habe ich nur gelesen und nie den Film gesehen, aber die Erinnerungen kamen im da auch wieder in den Sinn. Der Name für den Stuhl ist wirklich schrecklich.
Der Rassismus endet auch nie, weder in den USA noch hier. Er wird leider immer wieder angestachelt, es ist einfach nur traurig.
Und vielen Dank für die Verlinkung. Mir macht der #femtember richtig Spaß.
Liebe Grüße
Kerstin
HUhu meine Feine!
Mich hat das Buch auch gepackt und ich fand es sehr gelungen. Immer wieder erschreckend wie viele Parallelen es zu heute gibt, der Rassismus ist immer noch präsent und hat durch “soziale” medien ein gänzlich neues Ausmaß genommen, auch Gewaltbereitschaft klingt nicht ab. Es hätte emotional noch tiefer gehen dürfen, solche Bücher müssen weh tun!
Ansonsten war ich aber auch absolut eingenommen davon!
Mukkelige Grüße
Janna
PS: hab dich mal endlich in meinen Feedly-Reader gepackt <3
Hallo Janna,
Oh, ein Platz in deinem Feedly Reader, das freut mich.
“Mercy Seat”, da hast du Recht hätte noch in manchen Dingen noch heftiger sein können. Das Ende war passend, hätte aber für mich auch noch ein paar mehr Seiten haben dürfen. Aber es hat mich gefesselt und ich möchte gerne noch mehr von ihr lesen.
Liebe Grüße
Kerstin
Bin gerad wegen einer anderen Rezension hier bei dir und wollte mal luschern, hab gar keine Mail bekommen, das du geantwortet hast :)
Hihi, logo, war doch überfällig mit dem feedly!
Gefesselt hat es mich auch, da kann ich dir nur zustimmen!
Huhu Janna,
Hast du das Häkchen gesetzt? Manchmal spinnt das System.
Liebe Grüße
Kerstin